,,Wirf mich nicht weg"

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Delmenhorster Kurier, 6.April 2013
Vorreiterrolle im Kampf gegen Wegwerfen
 
Projekt des Regionalen Umweltzentrums soll Schülern Wertschätzung für Lebensmittel und Handys vermitteln
 
 
 
Mehr Wertschätzung für Lebensmittel und Konsumgüter soll ein neues Projekt des Regionalen Umweltzentrums Hollen in Zusammenarbeit mit Schulen aus Delmenhorst und dem Landkreis Oldenburg vermitteln. Das alltagspraktische Lernziel ist schon im Titel ausgedrückt: „Wirf mich nicht weg".
 

Zum Auftakt des Projekts „Wirf mich nicht weg!" läuft auch eine Ausstellung im Wildeshauser Kreishaus. Zu der Gemüse-Mahlzeit, die Delmenhorsts Erster Stadtrat Gerd Linderkamp (vorn) präsentiert, gehört der gelbe Kohlendioxid-Ballon in den Händen von Marina Becker-Kückens vom RUZ. Landrat Frank Eger zeigt dagegen in rot, wieviel klimaschädliches Gas durch eine Fleischmahlzeit freigesetzt wird. Foto: Ingo Möllers

 

Delmenhorst Landkreis Oldenburg.   50 Euro wirft jeder Haushalt in Deutschland jede Woche in den Müll- in Form von Lebensmitteln. Den statistischen Durchschnittswert, der Großverdiener ebenso berücksichtigt wie Hartz-IV-Bezieher, Familien ebenso wie Singles, wollen das Regionale Umweltzentrum (RUZ) Hollen und vier Schulen in Delmenhorst und im Landkreis Oldenburg senken helfen. Die Aufforderung ,,Wirf mich nicht weg! ", die einem jetzt gestarteten Bildungsprojekt den Titel gibt, wird jedoch nicht nur Lebensmitteln in den Mund gelegt, sondern auch ,,Elektrokommunikationsgeräten", sprich: vor allem Handys. ,, Die junge Generation hat den schnellsten Handy-Umsatz" begründete Martin Brinkmann vom RUZ, warum diesem Thema besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll.
 
Im Bemühen, die hohe Wegwerfrate von Konsumgütern und Lebensmitteln zu verringern, nehmen das RUZ und die beteiligten Schulen eine Vorreiterrolle ein. ,,Im ganzen deutschsprachigen Raum gibt es bislang noch keine pädagogisch ausgereiften Ansätze", sagte RUZ-Beratungslehrer Rolf Dasecke. In Lehrbüchern hätten diese Themen noch keinen Eingang gefunden. Deshalb beschränkt sich das Projekt auch nicht auf Aktionen in den Schulen. Sondern mit ihnen gemeinsam sollen Unterrichtsmaterialien entwickelt und nötigenfalls anhand der praktischen Erfahrungen verändert werden, wie RUZ-Geschäftsführerin Marina Becker-Kückens erklärte. Sie sollen dann über das Internet auch anderen Schulen zur Verfügung stehen. Interesse ist offensichtlich vorhanden: Schon vor dem offiziellen Start sei eine Anfrage vom deutschen Geografentag eingegangen, das Projekt demnächst auf einer Tagung in Passau vorzustellen, berichtete Becker-Kückens: ,, Da sind wir ganz glücklich drüber".
 
Die konkrete Arbeit in den Schulen ist auf zwei Jahre angelegt. Jede setzt dabei andere Schwerpunkte. Die beiden Delmenhorster Beteiligten kümmern sich um die Ernährung. Bei der Integrierten Gesamtschule (IGS] steht dabei die Erzeugung von Lebensmitteln im Fokus — im eigenen Schulgarten. Die große Fläche, die die Schule nach einem ausgelaufenen Projekt der Volkshochschule übernommen habe, sei derzeit ,,noch ein bisschen wild ", sagte Lehrer Reinhard Nehmiz. Da unter den Schülern viele Kinder mit Migrationshintergrund seien, soll sie in einen nahrhaften „Multi-Kulti-Garten" umgewandelt werden. Dafür gibt's noch ein bisschen Extra - Unterstützung von der Stadt Delmenhorst: ,, Stadtgrün macht uns die schweren Sachen", erklärte Nehmiz.
 
Aber auch die Schüler sollen richtig rackern: ,, Wir sind nachher die mit den schmuddeligen Fingern. " Der Hauptteil der Arbeit wird in den Händen einer überwiegend aus Siebtklässlern bestehenden Arbeitsgemeinschaft liegen. Erklärtes Ziel ist jedoch, dass auch die anderen Schüler und Lehrer den Garten etwa für Fachunterricht am lebenden Beispiel oder auch für Erholung in der Mittagsfreizeit nutzen. Die Idee dahinter: ,,Wer weiß, wie viel Arbeit da drin steckt, entwickelt auch mehr Wertschätzung für die Lebensmittel. "
 
Deren Verarbeitung soll bei den Berufsbildenden Schulen II im Mittelpunkt stehen. Damit übriggebliebenes Gemüse und Co. nicht im Mülleimer landen, will die dortige Schülerfirma ein ,,Restekochbuch" erstellen und vermarkten. Ein Internetauftritt gehört ebenfalls zum Konzept.
 
Den Blick auf die Handys richten die Oberschule an der Ellerbäke im Ganderkeseer Ortsteil Bookholzberg sowie die Hunteschule in Wildeshausen. Auch dabei geht es um Wertschätzung. Ein Gerät müsse nicht gleich weggeworfen werden, bloß weil es nicht auf dem allerneuesten Stand und deswegen vielleicht ,,uncool" sei, nannte Brinkmann ein Lernziel. Und wenn man es denn schon entsorgen wolle oder müsse, dann wenigstens so, dass die teils ausgesprochen wertvollen Rohstoffe weiter genutzt werden können. Wo die herkommen und unter welchen oft menschenunwürdigen Bedingungen sie gewonnen würden, sollen die Schüler ebenso etwa aus Filmen erfahren. ,,Wir wollen uns die ganze Produktlinie angucken, von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung, den Handel und die Nutzung bis zur Verwertung", kündigte Dasecke an. Dabei sollten beispielsweise auch die schnellen Zyklen, in denen neue Modelle auf den Markt kommen, und die dahinterstehende Wachstumslogik kritisch hinterfragt werden.
 
Anstoß zu dem Projekt war laut Becker-Kückens die Studie des Verbraucherministeriums, die erstmals konkrete Daten zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland geliefert habe. Die Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) habe dann angeregt, doch auch die Handys zu berücksichtigen. ,, Und je länger wir darüber beraten haben, desto interessanter fanden wir es" unter anderem, weil die Geräte für viele Jugendliche so eine wichtige Rolle spielen.
 
Von der DBU kam aber nicht nur diese Idee, sondern vor allem Geld: Von den 172 000 Euro Gesamtkosten trägt sie die Hälfte. Weitere Förderung steuern die niedersächsische Bingo-Umweltstiftung, die EWE-Stiftung, die Metropolregion Bremen-Oldenburg, die VR-Stiftung der Volks- und Raiffeisenbanken sowie der Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr bei.

 

 

 

Delme Report, 7. April 2013
Projekt für mehr Umsicht
 
Schulen schliessen Kooperationsvertrag mit dem regionalen Umweltzentrum in Hollen
 
Das Regionale Umweltzentrum (RUZ) in Hollen hat erneut einen weiten überregionalen Bogen gespannt. Auftakt des neuen Projekts ,,Wirf mich nicht weg" war Donnerstag im Kreishaus.
 

Dank der Sponsoren kann das Umweltzentrum zusammen mit zahlreichen Kooperationspartnern das Projekt ,,Wirf mich nicht weg" durchführen. Der Vertrag wurde gestern im Rahmen der Verbraucherausstellung ,,Klimaschutz schmeckt" im Kreishaus unterzeichnet. Foto: nba
 
Wildeshausen    Das aktuelle Projekt ,,Wirf mich nicht weg" dreht sich um die Verringerung und Vermeidung der Verschwendung von Lebensmitteln und insbesondere auch von Elektrokommunikationsgeräten. ,,Allein an Lebensmitteln werden pro Haushalt und Monat in der EU rund 50 Euro verschwendet", sagt RUZ Geschäftsführerin Marina Becker - Kückens. Durch den Hauptsponsor, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) sei angeregt worden, das Projekt auch auf Elektrokommunikationsgeräte auszuweiten. ,,Dafür sind wir mittlerweile sehr dankbar, denn das Thema Mobiltelefon ist insbesondere für Jugendliche interessant", betont sie.
 
Besonders erfreut zeigt sich die RUZ – Geschäftsführerin über die ,,spannenden" Kooperationspartner ,,Die Integrierte Gesamtschule in Delmenhorst verfügt über einen großen wilden Garten} Dort soll nun ein Multi-Ku1ti - Schulgarten angelegt werden." Ziel sei es, durch das Aussäen, die Pflege und das Ernten, die Wertschätzung für Lebensmittel zu fördern. In Kooperation mit der Schülerfirma an der BBS-II solle indes ein Restekochbuch entwickelt werden, welches man dann der Öffentlichkeit zur Verfügung stelle. Vorstellbar seien ein Buch in gedruckter Form und eine Internetpräsenz.
 
An der Hunteschule in Wildeshausen, der Schule an der Ellerbäke, der Förderschule am Habbrüggerweg in Ganderkesee und der Oberschule in Bookholzberg stehe das Thema ,,Handy" im Mittelpunkt des Projekts. ,,Wenn man sich ein Handy anguckt, dann ist es auf den ersten Blick ein sauberes Ding", sagt RUZ Mitarbeiter Martin Brinkmann. Den Schülern möchte man vermitteln, welche unglaublichen Ressourcen und miserablen Arbeitsbedingungen sich hinter der Produktlienie verbergen, So gehe es auch darum, ausgediente Geräte nicht einfach wegzuschmeißen, sondern zu einer Recyclingstelle zu bringen. Ziel sei es, hinsichtlich des rapiden technischen Wandels, dass die Jugendlichen künftig umsichtiger mit diesen Produkten umgehen. ,,Denn gerade die junge Generation hat den größten Wechsel an Mobiltelefonen".
 
Anlässlich der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags zwischen dem RUZ und den Projektteilnehmern wurde am Donnerstag zudem die Ausstellung ,,Klimaschutz schmeckt" im Kreishaus eröffnet. Das Projekt ,,Wirf mich nicht 'weg" wird mit 86.000 Euro zur Hälfte von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanziert. Die andere Hälfte des Betrages fördern die EWE- Stiftung, die Niedersächsische Bingo-Umweltstiftung und die Metropolregion Nordwest.